Das Konzept und seine Geschichte
Das Konzept der Workplace Policy ist ein Instrument der Personalpolitik, das seinen Ursprung im angelsächsischen Raum hat und häusliche Gewalt und ihre Auswirkungen am Arbeitsplatz in den Fokus nimmt. Sie beinhaltet die Selbstverpflichtung von Unternehmen sich sowohl intern als auch extern gegen häusliche Gewalt zu positionieren.
Positionierung gegen häusliche Gewalt
Mut zum Gespräch über häusliche Gewalt
Indem Sie als Unternehmen häusliche Gewalt ansprechen, machen Sie auf das Thema aufmerksam und zeigen, dass häusliche Gewalt nicht geduldet und Betroffene unterstützt werden. Das ist besonders wichtig, da für viele Betroffene der Arbeitsplatz ein Ort der Sicherheit darstellt und der Kontakt zu KollegInnen der einzige soziale Anker ist. Der Arbeitsplatzerhalt ist für Betroffene zudem existenziell notwendig, um die finanzielle Unabhängigkeit vom gewalttätigen Partner zu erreichen. Wenn häusliche Gewalt innerhalb eines Unternehmens als ernstes und wichtiges Thema wahrgenommen und kommuniziert wird, fühlen sich betroffene Frauen sicherer, verstanden und gut aufgehoben.
Betriebe sparen Kosten ein
2022 befanden sich rund 16 Millionen sozialversicherungspflichtige Arbeitnehmerinnen in Deutschland, die mit einer Workplace Policy erreicht werden können.1 Die wirtschaftlichen Vorteile der Workplace Policy werden von amerikanischen Studien belegt, die zeigen, dass bei Frauen ca. 20 – 25 Prozent aller Arbeitsausfälle auf häusliche Gewalt zurückzuführen sind und 75 Prozent dieser betroffenen Frauen Stalking am Arbeitsplatz erleben. Die direkten und indirekten Kosten für die Gesellschaft, die sich z.B. durch Polizeieinsätze und medizinische Versorgung der Betroffenen ergeben, sind beträchtlich. Aber auch Unternehmen haben wegen der Folgen häuslicher Gewalt enorme Verluste zu verzeichnen. Einer 2017 durchgeführten Studie zufolge belaufen sich die gesamten jährlichen Kosten in Deutschland auf etwa 3,8 Milliarden Euro.
Ziele der Workplace Policy
Enttabuisierung der Thematik häusliche Gewalt
Unterstützungsangebot für gewaltbetroffene MitarbeiterInnen
Vermittlung von Beratungsstellen
Die Maßnahmen sind vielfältig und können an Größe und Ressourcen der jeweiligen Unternehmen angepasst werden. Es ist bereits viel erreicht, wenn eine betroffene Frau weiß, dass sie mit einer Vertrauensperson im Unternehmen über ihre Probleme und Ängste sprechen kann und nicht um ihren Arbeitsplatz fürchten muss. Informationsmaterial, Broschüren und Vermittlung zu Beratungsstellen können Betroffenen helfen sich aktiv Hilfe und Unterstützung zu holen.Weitere Maßnahmen können flexible Arbeitszeitmodelle, unkomplizierte Sonderbeurlaubungen und Unterstützung bei der Kinderbetreuung oder Vermittlung von Unterkünften sein. Bei Stalking kann ein interner Arbeitsplatzwechsel oder eine neue Telefonnummer helfen. Gegen gewalttätige (Ex-) Partner können Hausverbote ausgesprochen werden. Mit ein wenig Kulanz kann der Arbeitgeber auch bei Gerichtsterminen helfen und MitarbeiterInnen freistellen.
Schritt für Schritt gegen häusliche Gewalt
Für die Einführung einer Workplace Policy in einem Unternehmen oder in einer Verwaltung gibt es kein einheitliches Konzept. Es gilt „Viele Wege führen zum Ziel“. Der Umgang mit dem Thema häusliche Gewalt ist in jedem Betrieb unterschiedlich. Aus unseren Erfahrungen lassen sich jedoch einige Schritte ableiten, die zur Orientierung hilfreich sind:
Niemand setzt gerne ein Konzept um, das ihm aufgezwungen wurde. Von daher ist es auch bei der Einführung einer Workplace Policy sinnvoll, möglichst viele Firmenbereiche einzubinden.
Wer zu den Beteiligten gehört, hängt von der Struktur und der Größe des Unternehmens ab. Es sollte immer eine Person aus der Geschäftsführung dabei sein und das Konzept mittragen, damit allen die Relevanz verdeutlicht wird. Es ist außerdem empfehlenswert eine/n MitarbeiterIn aus folgenden Bereichen einzubeziehen: Personalabteilung, Verwaltung, Öffentlichkeitsarbeit, Betriebsrat und natürlich die Frauenbeauftragte bzw. Gleichstellungsbeauftragte oder eine Diversity-Beauftragte/r, die das Projekt in der Regel federführend betreut.
1a. Informationsveranstaltung
Als erster Schritt bietet sich eine allgemeine Informationsveranstaltung zum Thema häusliche Gewalt und zur Workplace Policy an, um die Relevanz des Themas bewusst zu machen und das Konzept zu präsentieren.
1b. Arbeitskreis
Es hat sich in den letzten Jahren als hilfreich erwiesen, einen Arbeitskreis mit MitarbeiterInnen aus den o.g. Abteilungen zu bilden, der sich regelmäßig trifft und sich passende Maßnahmen überlegt.
Eine Schulung der Führungskräfte ist unerlässlich, wenn Sie es ernst meinen mit der Workplace Policy. Denn durch die Workplace Policy soll nicht nur für das Thema häusliche Gewalt Aufmerksamkeit geschaffen werden, sondern auch betroffene Mitarbeiterinnen bestmöglich unterstützt werden. Um diese Unterstützung zu gewährleisten, sollten alle Führungskräfte in der Erkennung der Anzeichen von häuslicher Gewalt geschult werden und ein Verständnis für die Situation der Betroffenen entwickeln. Außerdem sollen sie lernen, wie sie adäquat und sensibel reagieren können.
Nach und nach können Schulungen auf alle Abteilungen ausgeweitet werden. Sie helfen den MitarbeiterInnen, ihre eigenen Beziehungen zu reflektieren, Anzeichen von häuslicher Gewalt im eigenen Umfeld zu erkennen und vermittelt Ihnen das Wissen, richtig darauf zu reagieren. Am besten wirksam sind horizontale Ansätze, die die breite Akzeptanz der Maßnahmen der Workplace Policy innerhalb des Unternehmens verstärken und die Verantwortungsbereitschaft der Mitarbeiterschaft erhöhen. Beispiele für horizontale Ansätze sind gezielte Mitarbeiterschulungen und die Ernennung von Vertrauenspersonen innerhalb der Mitarbeiterschaft. Solche Maßnahmen führen zu einer verbesserten Kommunikation und stärken die Vertrauensbasis innerhalb des Kollegiums.
Mit der Einführung einer Workplace Policy soll betroffenen Mitarbeiterinnen direkt am Arbeitsplatz Unterstützung bekommen. Oft können schon kleine Maßnahmen helfen den Alltag besser zu meistern:
- AnsprechpartnerIn bennen
- Flexible Arbeitszeitgestaltung für Betroffene
- Unbezahlter Sonderurlaub/bezahlter Urlaub
- Infoblätter zum richtigen Umgang mit betroffenen Kolleginnen
- Veröffentlichung der Telefonnummer von Beratungsstellen
Insbesondere bei Stalking helfen folgende Angebote:
- Arbeitssicherheit: Auskunftssperre (Telefonnummer)
- Ausübung des Hausrechtes
- Möglichkeiten, den Arbeitsplatz zu verändern (z.B. neuer Standort, neues Aufgabengebiet)
Wichtig zur Einordnung des Konzepts ist der Hinweis, dass der Workplace Policy ausschließlich aufklärende und unterstützende Maßnahmen untergeordnet sind. Die professionelle Beratung, Begleitung und Betreuung der Betroffenen erfolgt durch Beratungsstellen und therapeutische Angebote außerhalb des Arbeitsplatzes und ist nicht teil des Konzepts.
Über verschiedene Mittel und Wege können Sie auf das Thema häusliche Gewalt in Ihrem Unternehmen aufmerksam machen und informieren:
- Flyer und Broschüren
- Poster
- Bildschirmschoner
- Artikel in der Mitabeiterzeitung/Newsletter/Intranet
- Flyer in der Gehaltsabrechnung
- Infoblatt für neue MitarbeiterInnen bei Einstellung
- Stellungnahme vom Vorstand/GF mit Standpunkt
Nützlich und zugleich auch sinnvoll sind kleine Give-Aways mit einer Telefonnummer oder ähnlichen Informationen. Dafür bieten sich am Arbeitsplatz besonders an:
- Mousepad
- Taschentücherpackung (z.B. mit einem Spruch wie „Wir haben die Nase voll bei Gewalt gegen Frauen“)
- Notizzettel und -Blöcke, Kugelschreiber, Lineal
- Pflasterbox
- Kalender
Das Thema Gewalt gegen Frauen lässt sich gut bei anderen Veranstaltungen integrieren, wie zum Beispiel bei Gesundheitstagen oder –messen durch:
- Vortrag
- Podiumsdiskussion
- Stand mit Informationsmaterial
- Quiz zum Thema Häusliche Gewalt oder Rollenspiel verbunden mit Gewinnspiel
- Filmvorführung
Eine weitere Möglichkeit des Engagements von Unternehmen für die Gewaltbekämpfung sind Spendenaktionen für Organisationen, die Opfer häuslicher Gewalt betreuen. So kann z.B. das lokale Frauenhaus mit Sach- und Geldspenden unterstützt werden. Aber auch Frauenberatungsstellen und Frauenrechtsorganisationen sind für ihre Arbeit auf Spendengelder angewiesen. Um Ihre MitarbeiterInnen bei einer Spendenaktion einzubinden, bietet sich zum Beispiel die Arbeitslohnspende an.
Bei der Arbeitslohnspende, auch „Gehaltsspende“ genannt, verzichten viele MitarbeiterInnen zugunsten eines gemeinnützigen Zwecks auf einen kleinen Teil Ihres Gehalts. Dabei handelt es sich meistens um Centbeträge, die vom Bruttoeinkommen abgezogen werden und direkt einer gemeinnützigen Organisation zugutekommen. In manchen Fällen verdoppelt das Unternehmen zudem den Betrag. Die monatlich abgebuchte Spende wird auf dem Gehaltsstreifen ausgewiesen und ist somit steuerbegünstigt.
Der Kreativität bei Spendenaktionen ist keine Grenze gesetzt. Wenn Ihr Unternehmen über eine Kantine oder Cafeteria verfügt, können zum Beispiel an der Kasse Spendendosen aufgestellt werden. Oder es kann ein Solidaritätsgetränk oder -essen verkauft werden mit Spendenanteil für die entsprechende Organisation.
Durch die Einführung der Workplace Policy schützt und unterstützt Ihr Unternehmen Ihre MitarbeiterInnen. Auf dieses Engagement können Sie zu Recht stolz sein und nach dem Motto „Tue Gutes und rede darüber“ auch für Ihre Kommunikation nutzen. Lassen Sie Ihre GeschäftspartnerInnen, Ihre Kundinnen und Kunden und Ihr weiteres Umfeld von Ihrem Engagement wissen. Das Unternehmen The Body Shop startete beispielsweise eine ganze Kampagne zu „Keine Gewalt an Frauen“ mit verschiedenen Werbeaktionen und Fundraising-Maßnahmen (s. Kasten). Aber auch kleine Hinweise können auf Ihre Außendarstellung positiv wirken:
- Positionierung/Stellungnahme auf der Homepage
- Hinweis in Ihren ausgehenden Emails („Wir schützen unsere Mitarbeiterinnen vor Gewalt“ oder „Wir sagen Nein zu Gewalt“ o.ä.)
- Mailing an Kunden mit Informationen zu Ihrem Engagement
- Poster, Flyer, Merchandising-Artikel in den Filialen Ihres Unternehmens
- Verkauf von Produkten mit Spendenanteil
- Weihnachtsspende statt Weihnachtsgeschenke
Wie groß oder klein Ihr Engagement gegen häusliche Gewalt auch sein mag, jede einzelne Aktion kann helfen, Frauen beim Ausweg aus gewalttätigen Situationen zu helfen!
Ihr ernsthaftes Engagement gegen häusliche Gewalt verdeutlichen Sie am stärksten, wenn Sie sich für eine Betriebsvereinbarung oder Selbstverpflichtung gegen häusliche Gewalt entscheiden.
In den Unternehmen, wo die Workplace Policy bereits zur Anwendung kommt, zeigen Studien, dass die Maßnahmen sowohl bei Führungskräften als auch bei MitarbeiterInnen breite Anerkennung fanden. Die Befragten erkannten die Verbindung zwischen häuslicher Gewalt und Arbeitsplatz und zeigten Verständnis für die Beeinträchtigung ihrer betroffenen KollegInnen. Für die Verbreitung und Umsetzung der Workplace Policy gibt es mittlerweile viele englischsprachige Best-Practice Beispiele, Broschüren und Agenturen, die interessierten Unternehmen professionelle Fortbildungen und Unterstützung bei der Umsetzung der Maßnahmen anbieten.
Quellenangaben:
1 https://www.destatis.de/DE/Themen/Arbeit/Arbeitsmarkt/Erwerbstaetigkeit/Tabellen/insgesamt.html, Stand: 30.06.2022